LOHMANNblog-Exklusiv-Interview mit Andrea Schmidt-Rumposch, Pflegedirektorin / Vorstand Universitätsmedizin Essen
Frau Schmidt-Rumposch, alle reden darüber und trotzdem stecken wir mitten im Pflegekräftemangel…
Ja, derzeit zeigen sich die Fehler der Vergangenheit in einem gravierenden Ausmaß. Doch dürfen wir nicht vergessen: Die Sicherstellung von ausreichendem Pflegepersonal nimmt bereits seit einigen Jahren eine aus wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, beschäftigungs- und gesundheitspolitischer Sicht große Bedeutung ein. Und auch auf der individuell-emotionalen Ebene wird heiß diskutiert: Wer möchte im Falle einer Pflegebedürftigkeit sich selbst und seine pflegebedürftigen Angehörigen nicht in kompetenten Händen wissen? Pflege betrifft schließlich jeden ganz persönlich – im Rahmen von eigenen Erfahrungen als Patient oder Angehöriger.
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Lohmannmedia.tvWorin sehen Sie jetzt die zentrale Herausforderung für die Akteure?
Pflege wird in der medialen Diskussion oft mit Grundpflege gleichgesetzt. Sicher, der Begriff bezeichnet übergreifend die Betreuung von Menschen, die sich nur noch eingeschränkt selbst versorgen können; diese Versorgung bringt allerdings in den Sektoren „klinische Pflege“, „Altenpflege“ und „ambulante Pflege“ gänzlich unterschiedliche Spezifikationen und Bedarfe mit. Sektorenübergreifend steht aber fest: so, wie es ist, kann es nicht bleiben. Es wird viel über Pflege geredet, bislang zeigen sich allerdings nur wenige – zielführende – Veränderungen. Es ist notwendig, das Gesundheitssystem weiterzuentwickeln, Versorgungsstrukturen zukunftsorientiert, sektorenübergreifend anzupassen, die ambulante Versorgung zu stärken. Für die Profession Pflege von hoher Bedeutung ist die Aufgabenneuverteilung in den medizinischen Professionen. Die Erweiterung der Kompetenz- und Verantwortlichkeitsbereiche, jenseits Ärztlicher Delegation. Dies trägt zur Aufwertung des Pflegeberufs bei. Wir klammern uns aber noch viel zu sehr an alte tradierte Berufsauffassungen.
Sie stehen in der Universitätsmedizin Essen für die Weiterentwicklung pflegerischer Versorgungsstrukturen. Was wären aus Ihrer Sicht die erforderlichen nächsten Schritte?
Für mich ist es wichtig, dass wir selbst einen aktiven Part in der Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen einnehmen. Also Handeln! Immer mit Blickrichtung auf den Patienten. Prozesse werden mit allen am Versorgungsprozess Beteiligten besprochen, analysiert und angepasst. Ziel ist dabei auch, bestehende Strukturen an internationale Entwicklungen anzupassen; ein ausgewogenes Qualifikationsniveau – gemäß vorab definierter Aufgabenbereiche – zu erreichen, um neue komplexe Versorgungsbedarfe bedienen zu können und Karrierewege auf pflegefachlicher Ebene aufzuzeigen. Zentraler Bestandteil ist die Ausweitung von Pflegeexperten und stellte die Etablierung von APNs (Advanced Practice Nurses) dar. Pflegefachpersonen mit erweiterter Pflegepraxis sind etwa in der Onkologie, Palliativpflege, pädiatrischen Onkologie, Ernährungsmanagement, Wundmanagement etabliert. Inzwischen verfügen wir in Essen über eine exzellente Expertise in APN Onkologie, Unterstützung im Selbst- und Symptommanagement in der Krebstherapie sowie in der Person-zentrierten Pflege in der Onkologie.
Die Stellung der Pflege ist also nicht ihrer Aufgaben gerecht…
Die Profession Pflege wird aus meiner Sicht noch viel zu wenig gehört – das ist ein absoluter Mangel in Deutschland. Wir brauchen neue Aufgabenverteilungen und müssen dann die Pflege direkt einbeziehen. Viel zu häufig noch wird der Pflege aber die Expertise abgesprochen. Dabei ist sie es aber, die in der direkten Patientenversorgung den meisten Kontakt mit den Patienten hat und damit auch eine sehr hohe Kompetenz. Es ist von zentraler Bedeutung, die Profession Pflege/Pflegefachpersonen direkt einzubinden; Ihre Fachlichkeit – analog zur Ärzteschaft – anzuerkennen. Bei uns sind daher Arbeitsgruppen etwa zu Digitalisierungsprojekten grundsätzlich interdisziplinär und interprofessionell besetzt. Darüber hinaus werden innovative, digitale Lösungen direkt in das erweiterte pflegerische Aufgabenfeld integriert – wie z.B. die Etablierung der Elektronischen Patientenakte, die digitale automatisierte Ausleitung des Sturz- und Dekubitusrisikos, der Einsatz von Bewegungssensorik, das digitale Entlassmanagement. Im klinischen universitären Kontext steht der Ausbau der pflegewissenschaftlichen Forschung und die Stärkung der Ausbildung. Wir beteiligen uns bei der klinischen Versorgungsforschung, übernehmen zu einzelnen Themen die Federführung. Und es geht um berufliche Entwicklungsmöglichkeiten, vor allem auch auf pflegefachlicher, nicht nur auf Pflegemanagement oder pflegepädagogischer Ebene.
Stichwort Digitalisierung. Da vermuten Viele noch Bedenken und Skepsis…
In der Pflege sehe ich keine Scheu vor der Digitalisierung. Im Gegenteil: Die komplette elektronische Patientenakte, eine automatische Risikoausleitung oder das Thema digitales Entlassmanagement werden schon jetzt sehr geschätzt. Um den Transformationsprozess in der Digitalisierung erfolgreich zu meistern, wurden Fort- und Weiterbildungsangebote zu Themen der Digitalisierung ergänzt. Der Studiengang Pflege und Digitalisierung, der gemeinsam mit der FOM entwickelt wurde, ermöglicht Pflegefachpersonen sich entsprechend zu qualifizieren, digitale Kompetenzen in Bezug auf die pflegerische Versorgung zu erwerben.
Wie sehen Sie die nahe Zukunft?
Kompetente Versorgung und Menschlichkeit – dafür braucht es Zeit. Pflegefachpersonen müssen von pflegefremden Aufgaben entlastet werden, damit sie ohne Stress gemäß ihres Berufsethos und des eigenen Anspruchs an evidenzbasierte, pflegerische Versorgung handeln können. Die Profession Pflege hat den Anspruch ihre Fachkompetenzen einbringen, nutzen und weiterentwickeln können – immer in Blickrichtung auf den individuellen Patienten. In der Universitätsmedizin Essen haben wir in einem Bottom-up–Prozess in unserem Pflegeleitbild den Anspruch an die Pflegerische Versorgung definiert.
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