Ein Exklusiv-Interview mit den Professoren Heinz Lohmann und Volker Nürnberg
Gesundheitsunternehmer Prof. Heinz Lohmann und Prof. Volker Nürnberg, Partner bei BDO und externes Mitglied des Innovationsausschusses des Gemeinsamen Bundesausschuss, sprachen im Mai vergangenen Jahres über notwendige Veränderungen im Gesundheitssystem. Es sei die Zeit, nach vorne zu denken und die künftige Modernität zu gestalten, denn ‚ein einfaches Zurück zur alten Normalität darf es nicht geben.‘ Nach fast einem Jahr Corona-Krise teilen die Experten die zurückliegenden Erfahrungen und geben einen Ausblick.
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Lohmannmedia.tvVor knapp einem Jahr haben sie gemeinsam ein aktives Veränderungsmanagement eingefordert, um die künftige Modernität zu gestalten. Heute sieht es fast so aus, als wenn die Akteure alle Hoffnungen auf den Staat richten und ihn in der alleinigen Verantwortung sehen.
Lohmann: Das war häufig in der Vergangenheit auch schon so. Die Führungsetagen der deutschen Krankenhäuser haben immer wieder nach mehr öffentlichen Mitteln gerufen und dann insbesondere mehr Paragrafen bekommen. Damit wurden gerade in letzter Zeit ihre sowieso begrenzten Handlungsspielräume weiter eingeschränkt. Das darf sich in der Zukunft keinesfalls fortsetzen. Statt sich zu beklagen, ist es an der Zeit, mit unternehmerischem Management die künftigen Herausforderungen in die eigenen Hände zu nehmen.
Nürnberg: Eine hervorragende Gelegenheit, eine eigene Strategie zu verfolgen, bietet die zwingend notwendige Digitalisierung. Zumal hier das Argument, es gäbe nicht das nötige Geld, um tatkräftig zu handeln, vor dem Hintergrund des Krankenhauszukunftsgesetzes, nicht sticht.
Wie kann denn eine strategische Positionierung aussehen, die den Verantwortlichen in den Unternehmen eine eigenständige Rolle beschert?
Lohmann: Weil die Digitalisierung die tradierten Geschäftsmodelle in Frage stellt, eröffnet sie neue Gestaltungsräume, die es gilt, tatkräftig zu nutzen. „Hauptsache die Kasse stimmt“, reicht in Zukunft nicht mehr. Viele kaufmännisch ausgebildete Krankenhausmanagerinnen und -manager haben sich in der Vergangenheit weit überwiegend mit den nicht medizinischen Aufgaben in den Kliniken befasst. Die sicher notwendige Professionalisierung der Administration und Technik hat große Teile der Arbeitskraft absorbiert. Das reicht aber nicht mehr aus. Jetzt ist die durchgehende Strukturierung der Behandlungsprozesse unabdingbar, um digitale Technologien umfassend nutzen zu können. Dazu ist es erforderlich, dass die Ärztinnen und Ärzte sowie die Krankenpflegekräfte gemeinsam mit dem kaufmännischen Management an dieser herausfordernden Aufgabe arbeiten. Silodenken führt in die Bedeutungslosigkeit, und zwar schneller, als es viele Akteure immer noch für möglich halten. Krankenhausmanagerinnen und -manager müssen die Medizin ins Zentrum ihrer Aktivitäten rücken. Dabei können sie verlorengegangene Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, wenn sie sich aktiv an der Diskussion um die Ethik in der Gesundheitswirtschaft beteiligen. Nicht nur Ärztinnen und Ärzte sowie Krankenpflegekräfte sind hier betroffen, sondern auch Ökonomen und Techniker. Gemeinsam Verantwortung für eine gute Medizin zu bezahlbaren Preisen zu übernehmen, ist eine geeignete Strategie, der gerade jetzt drohenden Überregulierung künftig entgegenzutreten.

Aufgaben für aktives Krankenhausmanagement gibt es genug. So verzeichnen die deutschen Kliniken in den vergangenen Monaten deutliche Fallzahlrückgänge, besonders hoch bei planbaren, nicht dringlichen Eingriffen. Diese Operationen liegen nun sozusagen in „Warteposition“; die Patienten sind weiterhin sehr zurückhaltend.
Nürnberg: Die Zahl der stationär durchgeführten Operationen ist 2020 im Durschnitt um 41 und bei ambulanten Operationen um 58 Prozent zurückgegangen. Das bedeutet Erlösverluste von etwa 2,5 Millionen Euro pro Haus. Verbunden mit der permanenten Bereitschaft für COVID-19-Patienten können diese Leistungen natürlich nicht auf Knopfdruck nachgeholt werden. Zum einen sehe ich immer noch eine Zurückhaltung der Patienten bei planbaren Operationen. Zugleich müssen bei gestiegenen Hygiene-Anforderungen erforderliche Schutzmaßnahmen vorgehalten und darüber hinaus Kapazitäten für Corona-Patienten in den Intensivbereichen freigehalten werden. Das macht die Situation nicht einfacher. Einrichtungen, die über einen hohen Anteil an Ein- oder Zweibettzimmern verfügen, können hier sicherlich schneller in einen Regelbetrieb übergehen als Häuser mit einem hohen Bestand an Mehrbettzimmern.
Aktuelle Studien zeigen auch starke Rückgänge bei der Behandlung von lebensbedrohlichen Notfällen wie Herzinfarkt oder Schlaganfällen und schweren Erkrankungen. Welche Auswirkungen hat das für die Kliniken?
Nürnberg: Die ausgebliebenen Behandlungen führen in Teilen zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der betroffenen Patienten. So wird sich künftig die Fallschwere in den Krankenhäusern erhöhen. Und zum anderen wird das Post-Covid-19-Syndrom (Long-Covid-Syndrom) dazu führen, dass Krankenhäuser vor weiteren Belastungen stehen. Experten gehen davon aus, dass 10 bis 20 Prozent der Covid-19-Patienten unter Corona-Langzeitfolgen leiden.
Lohmann: Andererseits ist sehr fraglich, ob das alte Niveau der stationären Behandlungen nach der Krise wieder erreicht werden wird. Es spricht viel dafür, dass sich die Ambulantisierung der Medizin eher verstärkt fortsetzt. Krankenhausverantwortliche stehen vor der Aufgabe, für solche gemischte Szenerien Lösungen zu entwickeln, die die Überlebensfähigkeit der Unternehmen sichert. Allen wird das nicht gelingen, soviel kann jetzt schon gesagt werden.
Es geht also in den kommenden Jahren für einige Krankenhäuser auch um ihre Existenz?
Nürnberg: Eindeutig ja. Und da spielt auch die Frage eine entscheidende Rolle, ob es gelingt, die erforderlichen Mitarbeiter zu gewinnen. Denn der Fachkräftemangel hat laut DKI-Studie im Krankenhaus inzwischen die OP-Bereiche erreicht: 2020 konnte fast jede zweite Klinik offene Stellen im nicht-ärztlichen OP- und Anästhesiedienst nicht besetzen. Bundesweit sind hier 3.000 Vollzeitstellen unbesetzt. Darüber hinaus sehe ich Auswirkungen auf die Diskussion von Krankenhausschließungen. Vor der Corona-Krise titelte etwa die Bertelsmann-Stiftung noch im Sommer 2019 ‚In Deutschland gibt es zu viele Krankenhäuser‘ und schlug vor, die meisten Kliniken zu schließen. Bei uns gibt es pro Einwohner doppelt so viele Intensivbetten wie in Frankreich und fast vier Mal so viele wie in Italien oder Spanien. Das – so sagen Kritiker der Schließungsdebatte – hat aber erst die gute Versorgung der Corona-Patienten ermöglicht. Sonst wären wir heute in einer deutlich schlechteren Situation. Ob es künftig zu einer kompletten Neueinschätzung zum Stellenwert der vorhandenen Krankenhaus-Kapazitäten kommen wird, ist aber nach wie vor offen. Denn auf der anderen Seite brauchen gerade schwere Covid-19-Fälle eine hohe Spezialisierung mit exzellenter Ausstattung an Personal und Geräten. Stichwort ‚Leistungskonzentration‘: Wenige Großkliniken, die mehr Patienten versorgen und über Fachärzte und modernste Geräte verfügen, die rund um die Uhr einsatzfähig sind. Es wird Veränderungen geben, soviel ist sicher. Nachdenkenswert wäre etwa, einen Teil der bisher vermuteten Überkapazitäten in Reservekapazitäten umzuwandeln. Hier sind dann entsprechende Risikokonzepte nötig, um in Krisensituationen flexibel zu reagieren. Sich hier aktiv in die bevorstehende Debatte einzubringen, ist für das betroffene Krankenhausmanagement äußerst wichtig. Wer sich nicht selbst bewegt, wird bewegt.
Sie sehen also stürmische Zeiten auf die Krankenhäuser, ja auf die gesamte Gesundheitswirtshaft zukommen?
Lohmann: Unbedingt. Es gibt große Risiken aber auch große Chancen. Bei Letzterem steht die Digitalisierung ganz oben an. Sie gilt es voranzutreiben. Stichworte sind hier beispielsweise das virtuelle Krankenhaus und der Einsatz der Telemedizin. Krankenhäuser brauchen eine Digitalisierungsstrategie, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Krankenhauszukunftsgesetz bietet viel Raum für den anstehenden Umbau des Gesundheitssystems. Die Interessen der Patienten gehören dabei in das Zentrum. Das Schlagwort „Von der Institution zum Prozess“ gilt jetzt auch in der Gesundheitsbranche. Verbunden damit müssen Investitionen in moderne Notfallkapazitäten aber genauso in die IT-Sicherheit erfolgen. Auch leisten etwa Telefonkonsile zwischen Kliniken einen guten Beitrag. Bereits während der Corona-Krise haben sich Krankenhäuser vielfach mit großem Erfolg bei der Behandlung schwerer Beatmungsfälle von Spezialisten anderer Klinken beraten lassen. Künftig wird dies auch in den Fachgebieten Kardiologie, Onkologie und Seltene Erkrankungen implementiert werden. Doch leider steht nicht zu selten ein mangelnder Normierungswille bei der Digitalisierung im Weg. Um etwa Gesundheitsdaten für eine verbesserte Krebstherapie wirklich nutzbar zu machen, müssen beispielsweise Behandlungsdaten elektronisch so zur Verfügung gestellt werden, dass auch Forschungseinrichtungen damit arbeiten können. Diese Interoperabilität ist aber häufig nicht gegeben und wird auch noch immer nicht ausreichend forciert. Es gilt jetzt, viele Herausforderungen schnell anzugehen, passende Lösungen zu erarbeiten und insbesondere umzusetzen, sowohl gesellschaftlich als auch in den Unternehmen. Die Zeit drängt. Da stimme ich mit Volker Nürnberg überein. Das bestehende Zeitfenster muss tatkräftig genutzt werden. Der Staat allein wird´s nicht richten! Unternehmerische Managerinnen und Manager sind jetzt gefragt.
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