Otto Melchert, Koordinator für ambulante ärztliche Weiterbildung des Kreises Segeberg

Mit Gutachten 2014 hat der SVR wichtige Empfehlung für die Sicherung der hausärztlichen Versorgung im ländlichen Raum gegeben (Abb. 1 Ansätze zur Erhöhung der Zahl der zukünftigen Fachärzte für Allgemeinmedizin). Seit dem Gutachten sind bedeutende Entscheidungen zur Stärkung der Sicherung der hausärztlichen Versorgung umgesetzt worden. Wichtigster Schritt war dabei die umfassende Etablierung von eig. Instituten für Allgemeinmedizin an den med. Fakultäten. Auch ist die Förderung der Weiterbildung für Allgemeinmedizin zahlenmäßig unbegrenzt. Allerdings fehlt es an der Umsetzung einheitlicher Förderung in der ambulanten und stationären Weiterbildung. Während die von den KVen eingerichteten Strukturfonds[1] entsprechend der Empfehlungen des SVR sich an den Tarifen für Krankenhausärzte orientieren, werden Weiterbildungsstellen in Krankenhäusern nur anteilig finanziert[2]. Um die Bereitstellung von zusätzlichen Weiterbildungsstellen in Kliniken zu fördern, gibt es bundesweit Initiativen, die insbesondere entsprechend dem DEGAM-Konzept[3] mit Weiterbildungsverbünden bei der Qualität durch eine kompetenzbasierte Weiterbildung[4] ansetzen und zusätzlich durch besondere finanzielle Anreize, z.B. von Kommunen, die die Attraktivität der regionalen Weiterbildung erhöhen sollen.

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Rahmenbedingungen

Entwicklung der Versorgungssituation

In Deutschland droht ein Nachwuchsmangel im hausärztlichen Bereich. Ein Drittel der aktuell tätigen Hauärztinnen und Hausärzte ist 60 Jahre und älter. Jährliche verlassen 1700 Personen den Beruf, während nur etwa 1350 neue fachärztliche Anerkennungen ausgestellt werden. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) geht von einem nicht gedeckten Ersatzbedarf von rund 20.000 Stellen bis 2025 aus. 2017 waren bereits 2600 hauärztliche Kassenarztsitze (KV-Sitze) nicht besetzt[5]. Die aktuelle Versorgungsstruktur ist noch immer geprägt von der Einzelpraxis[6], 50 % der Ärzt*innen, und überwiegend männlichen Praxisinhabern[7]. Dabei nimmt die Zahl der Ärzt*innen bei gleichzeitiger Erhöhung der Teilzeittätigkeit[8] zu, während die Zahl der Ärzte seit 2010 bis 2019 um 12,8 Prozent zurück gegangen ist. Für Einzelpraxisinhaber wird zunehmend schwieriger, nahezu unmöglich Einzelpraxen, die mit der Wohnimmobilie verbunden sind, abzugeben. Insbesondere dann, wenn von Praxisneugründern auch der Kauf der Immobilie zu einem marktüblichen Preis erwartet wird.

Grundsätzlich wird die Medizin weiblich und damit verändern sich die Anforderungen an die Strukturen und Arbeitsbedingungen. Im Rahmen des Berufsmonitoring der KBV 2018, war es für insgesamt 90 % der befragten Medizinstudenten wichtig, Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren und entsprechend flexibel bei den Arbeitszeiten sein zu können. Es zeigte sich keinerlei Veränderung zu den beiden ersten Wellen. Für spätere Arbeitgeber oder auch die Rahmenbedingungen für eine freiberufliche Tätigkeit bedeutet dies, dass familienfreundliche Arbeitszeiten (wie auch immer diese im Detail aussehen mögen) für die Frauen – und damit die größere Gruppe des Fachkräftepotenzials – eine conditio sine qua non sind[9]. Was die Arbeitszeitwünsche angeht, scheint die Vollzeittätigkeit ein auslaufendes Modell zu sein. Dies ist insbesondere bei Ärztinnen, aber auch bei Ärzten der Fall[10].

Bedeutend für die Gewinnung von Nachwuchsärzt*innen in einzelnen Regionen scheint der Trend der zur Heimatorientierung zu sein, d. h. gerade Medizinstudent*innen aus der Region können sich eine Rückkehr nach dem Studium in die Heimat vorstellen. Das Trend-Barometer zeigt aber auch klare Standortvorteile für Regionen um die Universitäten und wirtschaftliche Leuchtturmregionen[11].

Kommunale Rahmenbedingungen

Kommunaler Handlungsdruck wird immer offensichtlich, wenn eine Hausarztpraxis aus gesundheitlichen oder Altersgründen aufgegeben wird und Patienten zu einem Wechsel des Hausarztes gezwungen sind. Für kommunales Handeln ist dann in der Regel zu spät, weil Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen nicht oder fast zu spät wirksam werden. Nachteilig ist dabei, dass Gemeinde/Städte nur bedingten Überblick über die Altersstruktur der Hausärzte haben, da die Planung und Zulassung bei den Kassenärztlichen Vereinigung[12] liegen. Bekannt ist der Versorgungsgrad entsprechend der Bedarfsplanungsrichtlinie des GBA für den sog. Mittelbereich nach Maßgabe des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)[13]. Die Altersstruktur kann nur durch eigene Abfragung der Kommune bei gleichzeitiger Kooperation aller im Mittelbereich tätiger Ärzt*innen ermittelt werden.

Unabhängig davon überprüft die KV regelmäßig im Rahmen ihres Sicherstellungsauftrages die Entwicklung der Versorgung der Mittelbereiche. Als Konsequenz aus der Überprüfung der Versorgungsgrade leitet die KV Maßnahmen zur Sicherung von unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten ab, z. B. Einrichtung eines Strukturfonds ein. Die Förderung von Niederlassungen garantiert aber keiner Kommunen innerhalb eines Planungsbereich die Niederlassung einer/s Ärztin/Arztes, da der Niederlassungsort innerhalb des Planungsbereichs grundsätzlich in der Entscheidung der Praxisinhaber liegt.

Entsprechend der genannten Standortpräferenzen von zukünftigen Ärzten nimmt die Attraktivität in ländlichen Räumen ab[14][15][16]. Damit steigt für zentrumsferne und wirtschaftlich schwache Räume der Bedarf an Standortförderung. Aus dieser Erkenntnis heraus und der Bedeutung für Wirtschaft und Arbeitsplätze sind viele Kommunen dazu übergegangen, die Aufgaben in die Wirtschaftsförderung zu integrieren.

Kommunale, regionale Konzepte zur Gewinnung von hausärztlichem Nachwuchs,

Länder- und Bundesmaßnahmen zur Förderung

Grundsätzlich fördern alle Kassenärztlichen Vereinigungen zur Sicherung der Versorgung die Praxisübernahme/(Zweig)praxis)gründung. Dabei können sich die Förderungen je KV unterscheiden und sind Entscheidung der Selbstverwaltung. Unabhängig davon engagieren sich Kommunen, Gemeinde, Städte und Kreise, von Regionen mit drohender oder schon bestehender Unterversorgung mit unterschiedlichen Förderungen und Angeboten für die Niederlassung oder Anstellung von Ärzt*innen. Die Programme unterscheiden sich in einigen Teilen grundsätzlich:

Förderung des ärztlichen Nachwuchses und Bindung an die Region:

Kommunen, überwiegend Kreise stellen Medizinstudenten Stipendien mit der Verpflichtung zeitlich vereinbarten Tätigkeit als Hausarzt nach Abschluss der Weiterbildung (freiberuflich oder angestellt) zur Verfügung. Zielgruppe sind gerade aus der Region stammende Studienanfänger. Vergleichbare Programme gibt es in einzelnen Bundesländern, wobei die Tätigkeit auf das Landesgebiet bestimmt ist. Allerdings bleibt zu beachten, dass die Wirkung solcher Programme wg. der Studien- und Weiterbildungszeiten eine Latenz-Zeit von bis zu 17 Jahren (SVR 2014) hat. Baden-Württemberg hat ergänzend dazu sog. Landarzt-Tracks[17] verabschiedet. Mit diesem Angebot, bei dem die Student*innen mit regionalen Akteuren zusammengebracht werden, werden nach den Erfahrungen des Verfassers weitere flankierende soziale Angebote, wie Unterbringung, Mobilitätsunterstützung erforderlich werden. Hier könnten Kommunen beteiligter Ärzt*innen eig. Programme etablieren und nachhaltig für eine ärztliche Tätigkeit vor Ort werben.

Andere Förderprogramme zielen darauf ab, Ärzte, die in Weiterbildung gehen wollen, für eine Weiterbildung im Gebiet der Kommune zu fördern und zeitlich zu binden. Nach Aussagen von fördernden Kommunen werden die Programme vorrangig von „Landeskindern“ in Anspruch genommen (Beispiel Landkreis Emsland in Niedersachsen)[18].

Großen Einfluss auf die Attraktivität die Allgemeinmedizin haben die vom SVR empfohlenen Institute für Allgemeinmedizin und Weiterbildungsverbünde (DEGAM), die der Bedeutung der Allgemeinmedizin entsprechende breite kompetenzbasierte Weiterbildung garantieren. Bedarf besteht entsprechend. Der Freistaat Bayern  fördert dazu im Rahmen des BeLA-Programms die Medizinerausbildung an drei Standorten[19] in ländlichen Regionen.


[1] https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__75a.html Aufgriff 05.01.2021 19:00 Uhr

[2] https://www.dkgev.de/fileadmin/default/Mediapool/2_Themen/2.5._Personal_und_Weiterbildung/2.5.13._Foerderung_Allgemeinmedizin/Rechtliche_Grundlagen/Vereinbarung_ab_1.7.2016/A-Vereinbarung_gemaess____75a_SGB_V.pdf

[3] https://www.degam.de/files/Inhalte/Degam-Inhalte/Ueber_uns/Positionspapiere/DEGAM_Konzept_Verbundweiterbildung_plus_130621.pdf  Aufgriff 06.01.18:00 Uhr

[4] https://www.weiterbildung-allgemeinmedizin.de/downloads/Curriculum_01-10-15.pdf   Aufgriff 06.01.2021 18:00 Uhr

[5] Van der Bussche: Die Zukunftsprobleme der hausärztlichen Versorgung in Deutschland: Aktuelle Trends und notwendige Mahnahmen: https://link.springer.com/article/10.1007/s00103-019-02997-9   Aufgriff 04.01.2021 20:45 Uhr

[6] https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16393.php   Aufruf 06.01.2021 19:15 Uhr

[7] https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16396.php   Aufruf 06.01.2021 19:15 Uhr

[8] https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16393.php  Aufruf 06.01.2021 19:15 Uhr

[9] https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf  4.11.   Aufgriff 04.01.2021 13:50 Uhr

[10]  https://www.uke.de/kliniken-institute/institute/allgemeinmedizin/forschung/karriereverl%C3%A4ufe-von-%C3%A4rztinnen-und-%C3%A4rzten-w%C3%A4hrend-der-fach%C3%A4rztlichen-weiterbildung.html Aufruf: 04.01.20021 20:50

[11]   https://www.kbv.de/media/sp/Berufsmonitoring_Medizinstudierende_2018.pdf  4.11. Arbeitsorte und Regionen      Aufruf 04.01.2021 13:50 Uhr

[12] https://www.kbv.de/html/bedarfsplanung.php   Aufgriff 06.01.2021 20:40 Uhr

[13] https://www.g-ba.de/themen/bedarfsplanung/bedarfsplanungsrichtlinie/   Aufgriff 06.01.2021 20:45 Uhr

[14] Der ländliche Raum ist eine Raumkategorie, die nach dem deutschen Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) in ländliche Kreise höherer Bevölkerungsdichte und ländliche Kreise geringerer Dichte unterteilt wird und den verstädterten Räumen sowie den Agglomerationsräumen gegenübersteht.

[15] https://geohilfe.de/humangeographie/stadtgeographie/begriffe/agglomerationsraum-definition-und-beispiel/#Agglomerationsraum_Definition Aufruf 04.01.2021 13:00 Uhr

[16] https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%A4ndlicher_Raum Aufruf 04.01.2021 12:55 Uhr

[17] https://www.aerztezeitung.de/Nachrichten/Landarzt-Track-soll-Studierende-fuer-Allgemeinmedizin-begeistern-410572.html

[18] https://www.meilenstein-emsland.de/ Aufgriff 05.01.2021 00:10 Uhr

[19] https://www.stmgp.bayern.de/service/foerderprogramme/bela-programm/   Aufgriff 06.01.2021 22:30 Uhr

Otto Melchert. Ausbildung Kommunalverwaltung Niedersachsen. 1969 – 1982 Leitung IT. 1983 bis 1990 Verwaltungsleiter Kliniken, Pflegeeinrichtungen sowie ab 1987 Krankenhaus-, Sozial- und Jugenddezernent. 1990 bis 2013 bundesweit verschiedene Managementaufgaben für Sana Kliniken AG. 2013 und 2014 Geschäftsführer eines Labor MVZ, ab 2015 bis 31. März 2018 Kaufm. Vorstand und Vorstandsvorsitzender der Lubinus-Stiftung sowie Geschäftsführer der MVZ Lubinus GmbH, Kiel, ab 2019 Beratung im Gesundheitswesen insbesondere für Kommunen, ab 01.02.2020 Kreiskoordinator ambulante ärztliche Versorgung Kreis Segeberg – Förderung Weiterbildung Allgemeinmedizin und Aufbau von kommunalen hausärztlichen MVZn/Gesundheitszentren.