Podcast DIALOG GESUNDHEIT: Folge 4 Regionalisierung. Gast: Christine Becker, Salutoconsult
Kommunen in der Verantwortung für die wohnortnahe Gesundheitsversorgung
Das könnte Sie auch interessieren
Dr. Christian J. Rotering verstärkt das Team von LOHMANN konzept
Lohmannmedia.tvDIALOG GESUNDHEIT 42 – Wissensmanagement. Gast – Till Erwes, AMBOSS
Lohmannmedia.tvProf. Heinz Lohmann beendet seine Arbeit als Programmmacher des Managementkongresses KKR des Hauptstadtkongresses
Lohmannmedia.tvDIALOG GESUNDHEIT 41 – Kindernotfall. Gast – Dr. med. Katharina Rieth, Julia Rondot.
Lohmannmedia.tvStart-up-Contest beim GESUNDHEITSWIRTSCHAFTS-KONGRESS 2022: Gründerinnen und Gründer und ihre Ideen hautnah
Lohmannmedia.tvUnterstützung klinischer Entscheidungen – so wichtig wie Stethoskop und Fieberthermometer
Lohmannmedia.tvPflege-Podcast PASSIERTE KOST – Gesundheitsunternehmer Prof. Heinz Lohmann zu Gast
Lohmannmedia.tv3 Thesen für die Gesundheitsversorgung von morgen
Lohmannmedia.tvGesundheitsversorgung kann von Kommunen mitgestaltet werden, auch ohne dass sie sich in Diagnostik und Behandlung einmischen. Die Vermittlung von Informationen und Kontakten, die organisatorische Unterstützung beim Aufbau neuer Kooperationsformen und einer zukunftsfähigen Infrastruktur, z.B. in ambulanten Gesundheitszentren und durch die Nutzung digitaler Technologien, sind Aufgaben, denen sich Kommunen widmen sollten. Grundlage für kommunales Engagement muss die Orientierung am Gemeinwohl, am Nutzen für die gesamte Bevölkerung sein. Die Vertreter*innen der Kommune benötigen dafür Kenntnisse über die Besonderheiten der verschiedenen Gesundheitsberufe, ihrem Verhältnis zueinander und ihren Finanzierungsbedingungen. Auch Pläne wie die Gründung eines „MVZ“ sollten gut, v.a. aber mit den notwendigen Akteuren gemeinsam durchdacht und Alternativen diskutiert werden.
Was können Kommunen tun, damit ihre Bevölkerung auch langfristig eine gute Infrastruktur zur Gesundheitsversorgung vorfindet? Was dürfen sie tun und welche Aufgaben kann niemand besser übernehmen als die führenden Vertreter*innen der Kommune? Insbesondere ländlich geprägte Kommunen stehen vor besonderen Herausforderungen angesichts der zukünftigen Gesundheitsversorgung ihrer Bevölkerung. Es ist ja nicht nur der Weg zum nächsten Krankenhaus, sondern auch die Altersstruktur der Ärzte in den Praxen und die Personalsituation in der Pflege, die die Frage nach der richtigen kommunalen Strategie aufwerfen. Nicht zu vergessen die sich verändernden Erwartungshaltungen der Bevölkerung, egal welchen Alters. Für kleinere Kommunen, noch dazu wenn sie finanziell nicht gut dastehen, liegt eine weitere Herausforderung in der eigenen Personalsituation: Wo man sich keine Referent*innen oder Stabsstellen für besondere Projekte leisten kann, müssen die Bürgermeister*innen selbst sich um diesen Themenkomplex kümmern – und dies oft gegen Widerstände, nicht zuletzt beim eigenen kommunalen Spitzenverband und bei der Kommunalaufsicht.
Oft werden Kommunen, vertreten durch ihre Bürgermeister, dort aktiv, wo die ambulant tätigen Ärzte nicht ausreichend gut vernetzt sind, wo es kein professionell gemanagtes Ärztenetz gibt. In manchen Regionen kommt erschwerend hinzu, dass die Zusammenarbeit mit der Leitung des Krankenhauses schwierig ist, z.B. weil es in privater Trägerschaft ist und andere Interessen verfolgt. Wenn unter diesen Rahmenbedingungen nicht zu erwarten ist, dass tragfähige Formen der Gesundheitsversorgung entwickelt werden, dann sieht sich der Bürgermeister oft genötigt in die Bresche zu springen und Verantwortung zu übernehmen. Es gilt dann in der Region und in der Landespolitik Partner*innen zu finden, seien es Abgeordnete des Wahlkreises oder Krankenkassen. Ein oft übersehener Partner der Kommunen sind die Träger der Pflegeeinrichtungen – sowohl Heime als auch ambulante Pflegedienste, denn auch dort gibt es ein großes Interesse an verlässlicher ärztlicher Versorgung und an einer harmonischeren Zusammenarbeit. Gemeinsam muss eine Bestandsaufnahme erfolgen, die über die Statistiken und Planzahlen der Kassenärztlichen Vereinigung hinaus gehen und in der auch qualitative Aspekte und Erfahrungsberichte z.B. von Beschäftigten in Einrichtungen der ambulanten Pflege einfließen. Mit wem, mit welchen Einrichtungen funktioniert die Zusammenarbeit gut? Wer organisiert schon jetzt bestimmte Leistungen gemeinsam mit anderen (Einkauf, EDV, Pflichtaufgaben wie Datenschutz, Laborleistungen, Hygienemanagement)? Aber auch: Wohin tendiert die Bevölkerung, wenn es um Fachärzt*innen und Krankenhäuser geht? Wie weit ist man bereit zu fahren? Es wird sich herausstellen, dass Verwaltungsgrenzen wie der Landkreise oder Bundesländer keine Rolle spielen und dem muss die Kommunalpolitik dann auch Rechnung tragen.
Kommunen in ländlichen Regionen können häufig Fördermittel aus Programmen zur Regionalentwicklung und zur Steigerung der Lebensqualität beantragen, besonders in strukturschwachen Regionen. Mittlerweile kommen auch Finanzierungshilfen hinzu, mit denen der Einsatz digitaler Technologien gefördert werden soll. Dabei geht es um weit mehr als um die Verlegung von Glasfaserkabeln oder den Bau von Mobilfunkmasten und die Verwaltungen und die Kommunalpolitiker*innen tun gut daran, vermehrt Fördermittel zu nutzen, die der sozialen Infrastruktur und der Verbesserung der Lebensqualität der Bevölkerung dienen. Es wäre nicht opportun, junge Ärzt*innen mit Geld oder vergünstigten Mieten zu locken oder bei der Vergabe von Bauplätzen oder Betreuungsplätzen in der Kita zu bevorzugen. Zumindest ohne einen vorherigen Abstimmungsprozess in den kommunalpolitischen Gremien und eine entsprechende Transparenz würden solche Maßnahmen sonst berechtigterweise zu Kritik bei weniger privilegierten Berufsgruppen oder zu einer Wettbewerbsverzerrung für bereits niedergelassenen Ärzt*innen führen.
Vielmehr sollten aktuelle staatliche Förderprogramme (z.B. „Region gestalten“ des BMI) oder Wettbewerb wie „Kommunal? Digital“ in Bayern von den Kommunen eingesetzt werden, um die Angebote der Gesundheitsversorgung mit anderen kommunalen Aufgaben wie Wirtschafts- und Standortförderung, Bildungs- und Kulturangeboten, Kinderbetreuung, ÖPNV bzw. Mobilität sowie „Wohnen im demografischen Wandel“ strategisch zu verbinden. Diese Art Förderprogramme können nur von Kommunen beantragt werden und bringen sie damit gegenüber sonst oft aus berufsständischen Interessen heraus auftretenden Bedenkenträgern und Bremsern in eine machtvolle Position zur Gestaltung innovativer Prozesse. Überwunden werden müssen allerdings die Hürden des Antragsprocederes (v.a. EU-Beihilferechts und des Vergaberechts), wo viele Kommunen auf die Unterstützung durch erfahrener Partner angewiesen sind.
Zentrale Aufgabe von Kommunen bei solchen Entwicklungsprozessen zur wohnortnahen Gesundheitsversorgung ist nach der Bestandsaufnahme auch das Bereitstellen von Informationen. auch für neue medizinische Versorgungsangebote und Kooperationsformen. Man muss schon manchmal staunen, wie wenig Ärzt*innen über die für ihre Arbeit relevanten Gesetze und Verordnungen wissen. Entsprechend gering ist die Kompetenz zu deren Umsetzung. Das betrifft auch neuere Modelle des ärztlichen Zulassungsrechts wie „Medizinische Versorgungszentren“ („MVZ“) oder die Möglichkeiten zu „besonderen Versorgungsverträgen“ (§ 140 SGB V). Deutlich wird das aber an den gesetzlich verbrieften Rechten der Patient*innen auf umfassende Information über Patient*innenrechte, über Aufklärung zu Diagnostik und Therapie, inklusive Zweitmeinung und Alternativen oder auf ein vom Gesetzgeber eigentlich klar definiertes sog. „Entlassmanagement“ zum Ende eines Krankenhausaufenthaltes. Hinzu kommen jetzt auch die Rechte der Patienten im Hinblick auf Datenschutz auf der einen Seite und auf die Nutzung digitaler Technologien wie der „elektronischen Patientenakte“ („ePA“) oder auch Apps (zertifiziert als Medizinprodukt) auf der anderen Seite. Es sei hier übrigens festgestellt, dass Patient*innenrechte auch Bürger*innenrechte sind, was ein Kümmern durch die Kommunalpolitik nochmal mehr rechtfertigt.
Das führt uns zu einem Aufgabengebiet, für das die Kommune so gut prädestiniert ist wie sonst keine Institution: Die Information über qualitätsgesicherte Medien, die der Bevölkerung Zugang zu Informationen über verschiedene Gesundheitsthemen geben. Hierbei geht es sowohl um die Förderung von Gesundheitskompetenz wie von Digitalkompetenz. Es ist anzunehmen, dass es dem Bundesgesundheitsministerium, der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung und einigen offiziell anerkannten Vereinigungen und Initiativen sehr lieb wäre, wenn auch auf den kommunalen Internetseiten verstärkt über gesundheitliche Prävention, richtiges Verhalten bei gesundheitlichen Notfällen und eben über Patientenrechte informiert würde, z.B. mit entsprechenden Links zu den einschlägigen kosten- und werbefreien Internetseiten.
Durch Steuerung kommunaler Zuschüsse können Kommunen außerdem die Maßnahmen der gesundheitlichen Prävention in Kindertagesstätten oder den Aufbau von zertifizierten Angeboten der Sportvereine zum Gesundheitssport beeinflussen. Natürlich flankiert durch entsprechende kommunikative Maßnahmen wie Informationsveranstaltungen und „Gesundheitstage“. Als zentraler Faktor hat sich jedoch herausgestellt, dass für den nachhaltigen Erfolg solcher kommunaler Maßnahmen die verbindliche Einbindung von Hausärzt*innen und Kinderärzt*innen notwendig ist. Wenn diese Expert*innen nicht mindestens ebenso viel über Prävention und Präventionsangebote in der Region zu lernen bereit sind, laufen Investitionen der Kommunen ebenso in’s Leere wie entsprechende Angebote von Krankenkassen.
Die Verbindung von Wirtschaftsförderung im Sinne von Innovationsförderung und Unterstützung von Betrieben in ihrer Arbeitgeberverantwortung kann auch zu einer gemeinsamen Initiative von Kommune und Gesundheitswirtschaft führen. Z.B. könnte eine Gewerbeausstellung das Thema „Demografischer Wandel und Digitalisierung“ in den Vordergrund stellen und dazu auch Anbieter aus den Bereichen der Telemedizin und für die Umsetzung der sog. „Telematik-Infrastruktur“ als Aussteller und für Vorträge einladen. Die großen Telekommunikationsunternehmen haben dafür ebenso Expert*innen und Produkte wie die Berufs- und Branchenverbände der Apotheken, der Ärzteschaft oder der Pflege.
„Das kann doch keine Kommune alles stemmen“ könnte jetzt der resignierte Kommentar lauten. Stimmt! Daher gibt es ja auch mehr und mehr Förderungen für interkommunale Zusammenschlüsse, in Unterfranken z.B. als sog. „Allianzen“, gefördert vom dortigen Amt für Regionalentwicklung bzw. der Regierung von Unterfranken. Oder man definiert eine solche Strategie als Verbund benachbarter Kommunen im Rahmen der LEADER-Förderung. Wahrscheinlich braucht es in jedem Fall mindestens einen Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin mit einer gewissen persönlichen Souveränität, einem großen Gestaltungswillen und Talent zu Moderation und Integration. Aber es soll solche Personen ja geben, nur Mut! (bfd-Infoline 01. April 2021; 24. Jg.)
Hören Sie den Podcast DIALOG GESUNDHEIT Regionalisierung
Ihr Kommentar: