Die neue Serie “Thesen zum Handlungsbedarf in der Gesundheitspolitik” im LOHMANNblog greift bis zur Bundestagswahl 2021 relevante Themen auf. Unsere 3. Folge: Gesundheitsversorgung: Mehr Kompetenzen für die Regionen? Dr. Andreas Meusch.

Dr. Andreas Meusch
  • Werden die Länder in Legislaturperiode mehr Kompetenzen bekommen? Es sind keine Sachgründe, wohl aber Machtgründe, die das möglich erscheinen lassen:
    • Das Lahnsteinsche Gesetz wird auch in der nächsten Wahlperiode gültig bleiben. Ich habe es nach dem Ort benannt, an dem der damalige Gesundheitsminister Seehofer sein Gesundheitsstrukturgesetz (GSG) zustande brachte. Es besagt: Strukturreformen im Gesundheitswesen bedürfen der Zustimmung des Bundesrates, die Länder gewinnen Kompetenzen, und das Krankenhausthema wird ausgeklammert.
    • Die politische Großwetterlage: Die Grünen stehen für starke Regionen, und ihre Kanzlerkandidatin hat in ihrer ersten Rede bei ihrer Ausrufung durch Robert Habeck das Konzept „Gesundheitsregionen“ ausdrücklich als ihr Ziel hervorgehoben. Die SPD will ebenfalls die Regionen stärken mit Positionen in Unterstützung der Kommunen, dem Erhalt der stationären Versorgung im ländlichen Raum sowie regionalen und sektorübergreifenden Versorgungskonzepten.  Und von der Union ist mit einem amtierenden Ministerpräsidenten als Kanzlerkandidaten kaum Widerstand dagegen zu erwarten, zumal auch sein Sozialminister gern Gesundheitsregionen in NRW besucht. Und sollte wirklich jemand glauben, die CSU würde sich einer Stärkung der Regionen entgegenstellen, der kann auf der Internetseite des Bayerischen Staatsministeriums Informationen zu „Gesundheitsregionen+“ nachlesen, wie sich CSU-Vertreter bei Koalitionsverhandlungen positionieren werden.

  • Falls mehr Regionalität wirklich die deutsche Antwort auf die Herausforderungen der Globalisierung und der Plattformökonomien sein soll, stellt sich die Frage, wie praxistauglich solche Konzepte sind. Kein gutes Omen ist hier, dass der Masterplan für solche Konzepte, das „Gesunde Kinzigtal“, zur Jahresmitte von der AOK Baden-Württemberg gekündigt wurde. Wie man dem Informationsdienst „Tagesspiegel Background“ entnehmen konnte, geht es dabei nicht um konzeptionelle Themen, sondern ums Geld: Man will zwar weitermachen, aber nicht zu den gegenwärtigen Bedingungen. Das erinnert an Managed Care Ansätze aus den USA, bei denen der Hype inzwischen der Ernüchterung gewichen ist, weil die Overheadkosten gewaltig sind. Insofern darf man die Kündigung durchaus als Menetekel sehen, das zum Innehalten mahnen sollte, bevor dieser Ansatz bundesweit ausgerollt wird.

  • Potenzielle Kostenrisiken sind aber kein zwingender Hinderungsgrund, solche Ideen in Koalitionsvereinbarungen zu schreiben und dies dann in Gesetzesform zu gießen. Sollte man diesen Weg gehen wollen, gilt es vier Risiken zu bedenken:
    • Kosten von staatlichen oder gesamtgesellschaftlichen Aufgaben dürfen nicht auf die Beitragszahler der Krankenversicherung überwälzt werden. Leere Kassen in den Ländern dürfen kein Argument sein, Kosten gesellschaftspolitischer Aufgaben den Beitragszahlenden für die Krankenversicherung aufzulasten, wie es seit vielen Jahren bei der Krankenhaus-Investitionsfinanzierung geschieht
    • Schon heute klaffen Entscheidungskompetenz und Finanzverantwortung in vielen Fällen auseinander. Beispiel: Landeskrankenhausplanung. Diese Schere droht sich weiter zu öffnen. Dem gilt es bereits im Gesetzgebungsverfahren Einhalt zu gebieten.
    • Versorgung ist lokal oder regional. Umso wichtiger ist überregionale Versorgungsplanung, die sich an der Versorgungsrealität der Menschen und nicht an Verwaltungsgrenzen orientiert.
    • Unterschiedliche Rechtsaufsichten für identische Sachverhalte, also die Trennung in Bundes- und Landesaufsicht, sind bereits im Status quo völlig aus der Zeit gefallen. Wenn man den Vertragspartnern im Land mehr Freiheiten gibt, dürfen die Landesaufsichten nicht auch noch im Wege der Rechtsaufsicht überprüfen, ob die sich rechtskonform verhalten haben. Eine einheitliche Rechtsaufsicht auf Bundesebene ist zwingende Voraussetzung für mehr Freiheiten auf der Landesebene.