Die neue Serie „Thesen zum Handlungsbedarf in der Gesundheitspolitik“ im LOHMANNblog greift bis zur Bundestagswahl 2021 relevante Themen auf. Startfolge: Krankenkassenwettbewerb, Dr. Andreas Meusch.

Dr. Andreas Meusch
  • Wettbewerb unter den Krankenkassen ist akzeptiert

Wettbewerb zwischen Krankenkassen ist inzwischen ein fester Bestandteil unseres Gesundheitssystems. Es ist weitgehend akzeptiert, dass es nicht zu einer freiheitlichen Gesellschaft passt, Menschen Wahlmöglichkeiten vorzuenthalten. In der pluralen Gesellschaft Deutschlands schafft die Kassenwahlfreiheit Legitimation für das Gesamtsystem der sozialen Sicherung und kann damit als fester Bestandteil der Sozialordnung angesehen werden.

Die tragenden Säulen des Kassenwettbewerbs sind Wahlfreiheit, Kontrahierungszwang mit Diskriminierungsverbot – und dies flankiert durch einen Risikostrukturausgleich (RSA). Ihre wichtigsten Eckpunkte sind auch vom Bundesverfassungsgericht  in seiner Rechtsprechung abgesichert, insbesondere im Beschluss zum Risikostrukturausgleich von 2005. Es beschreibt es als Ziel der Wettbewerbsordnung, „auf der Basis des Solidarprinzips wirtschaftliches und effizientes Verhalten der Krankenkassen bei der gesundheitlichen Leistungserstellung“ zu fördern.

Ein wichtiges Element für das Bundesverfassungsgericht sind die „annähernd gleiche(n) Wettbewerbsbedingungen“. Diese geben Orientierung für das Handeln von Legislative und Exekutive. Hier war der Gesetzgeber seit Einführung der Wettbewerbsordnung darauf fokussiert, diese über Änderungen beim RSA herbeizuführen. In anderen Bereichen war er weniger aktiv. Hier bleibt Handlungsbedarf.

  • Unterschiedliche Rechtsaufsichten sind ein Störfaktor im Wettbewerb

Überregionale Krankenkassen unterliegen laut Gesetz der Aufsicht des Bundesamts für Soziale Sicherung (BAS), während über regionale Krankenkassen – allen voran die AOKen – das Landessozialministerium die Aufsicht führt. Die Bundes- und Landesaufsicht ist sich weitaus nicht immer einig, auf dem Papier oft schon, in praxi ebenso oft nicht. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Verträge von Krankenkassen mit Leistungserbringern von der Landesaufsicht genehmigt werden, während das BAS sie verbietet. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgung von Patienten, Versicherten, auf Leistungserbringer und die untereinander im Wettbewerb stehenden Krankenkassen.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss zum RSA ausdrücklich darauf hingewiesen: „Der Bund hat es damit aufgrund seiner Sachgesetzgebungskompetenz weitgehend in seiner Hand, ob er landesunmittelbare Sozialversicherungsträger und damit deren Beitragsaufkommen in die Bundesverwaltung überführt oder nicht.“ Diesen Fingerzeig sollte der Bundesgesetzgeber nutzen.

  • Zu viel Marktmacht gefährdet den Wettbewerb

Ist die Wahlfreiheit der Versicherten als ein Wesensmerkmal des Wettbewerbs unbestritten, gibt deutliche Kritik beim Wettbewerb um Verträge für eine qualitativ hochwertige und effiziente Versorgung. Den zahlreichen Ausführungen zu diesem Thema ist mit Blick auf das Thema Wettbewerb ein Faktor zu ergänzen: Marktmacht. Zwar hat der Gesetzgeber den Geltungsbereich des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in der gesetzlichen Krankenversicherung 2011 erweitert. Das Problem einer marktbeherrschenden Stellung des AOK-Systems aber nicht gelöst: „Der Marktanteil der Gesundheitskasse nach Versicherten beträgt 36,42 Prozent“, verkündet der AOK Bundesverband im Internet und beschreibt damit das Problem: An den AOKen kommt im Leistungsmarkt niemand vorbei – eine marktbeherrschende Stellung darf angenommen werden. Da der Gesundheitsmarkt überwiegend ein lokaler und regionaler ist, verharmlost diese Durchschnittszahl aus zwei Gründen das Problem:

  • Regional kann der Marktanteil noch höher sein. So verweist die AOKplus richtigerweise darauf, dass sie in ihrem Geschäftsbereich Sachsen und Thüringen fast beinahe jeden zweiten Versicherten betreut.
  • Auf dem Leistungsmarkt ist der AOK-Anteil in der Regel signifikant höher als ihr Marktanteil. Die Höhe der Zuweisungen aus dem RSA belegen dies eindrücklich.

Damit ist die Marktmacht der AOKen in den regionalen und lokalen Versicherungsmärkten ein zentrales Hindernis für einen funktionierenden Wettbewerb auf dem Leistungsmarkt. Solange die Marktsituation so ist, wird es in der gesetzlichen Krankenversicherung keinen funktionierenden Wettbewerb um eine qualitativ hochwertige Versorgung geben. Hier ist ebenfalls Handlungsbedarf gegeben.